Navigation  

Schmerz ist vergänglich, Stolz ist für immer

Die Bezwingung des Großglockners

Druckversion als PDF-Dokument (1,1 MB)

Prolog

Wenn man 40 Lenze oder auch ein paar mehr zählt, dann sucht man manchmal Dinge, mit denen man sich und anderen etwas beweisen kann. Ich nehme gerne neue Herausforderungen an, Der Großglockner, theoretisch hinten mitte im Bild, hüllte sich zu Beginn unserer Tour in dickes Weiß.
Der Großglockner, theoretisch hinten Mitte im Bild, hüllte sich zu Beginn unserer Tour in dickes Weiß.
und mein Bruder erzählt gerne von seinen Heldentaten. Deswegen sollte es diesmal in selten erreichte Höhen gehen.

26. Juli (Dienstag)

Um Acht Uhr brachen mein 47-jähriger Bruder Martin, der 36-jährige Peter und ich[1][1] Mein Alter möchte ich nicht verraten, aber es lag nicht weit von der Mitte entfernt. mit dem Auto Richtung Österreich auf. Unser "Nesthäkchen" fuhr fleißig Mountainbike und machte den fittesten Eindruck, mein Bruder kränkelte bereits die Wochen zuvor an seinen Adduktoren herum, und ich war immerhin zweimal im Vorfeld joggen gewesen. So sah unsere körperliche Vorbereitung aus. Besonders viel Ahnung vom Bergsteigen oder Klettern hatte keiner von uns dreien. Beides ist eine extrem gute Voraussetzung, sich gleich an den höchsten Berg Österreichs zu wagen.

Obwohl die Wettervorhersage - viel Regen und sogar Gewitter - alles Anderes als Erfolgversprechend aussah, machten wir uns trotzdem auf den Weg. Unterwegs wurde das Wetter immer schlechter, bis wir aus den Felbertauerntunnel kamen und tatsächlich die Sonne sahen. Sollte es doch noch Hoffnung geben?

Am Endpunkt der Kalser Glocknerstraße sattelten wir bei trockenem Wetter am Lucknerhaus (1920 Meter) die Rucksäcke. Schon hier machte sich bemerkbar, wie wenig Ahnung ich vom Hochgebirgswandern hatte. So nahm ich viel zu viele Dinge mit und schleppte mich in den kommenden Tagen mit bis zu 15 kg ab. Steigeisen, Klettergurt und Helm kamen noch mal oben drauf. Nicht nur einmal fluchte ich stumm über die Masse, die sich auf meinem Rücken befand. Nichtsdestotrotz erreichten wir eine gute Stunde später leicht durchnässt die Lucknerhütte (2241 Meter), unser Übernachtungsquartier. Der einsetzende Regen störte nicht so stark, da der Rücken sowieso klitschnass geworden wäre. Die Stimmung war gut, da bisher keine körperlichen Gebrechen das Vorwärtskommen behinderten. Im Lager, das für ca. 15 Leute ausgelegt war, schliefen heute nur wir, was sehr angenehm war.

27. Juli (Mittwoch)

Die Sprüche wurden ein wenig zurückhaltender, da heute schon einiges auf dem Programm stand. Zunächst wanderten wir gemütlich zur Stüdlhütte (2802 Meter) hinauf, wo wir unseren Führer Toni treffen sollten. Wir waren heiß auf den Berg und wären am Liebsten gleich nach ganz oben durchgestartet, mussten aber leider noch warten, da der erste Toni, der dort aufschlug, eine andere Gruppe begleitete. Ein paar Stunden später kam er uns entgegen, da seine Gruppe aufgegeben hatte.

Endlich brachen wir mit Toni Nummer Zwei am frühen Nachmittag wieder auf. Unser nächstes Ziel war die Erzherzog-Johann-Hütte auf der Adlersruhe, die höchstgelegene Hütte Österreichs (3454 Meter). Wir stampften durch den Schneematsch über das Ködnitzkees[2][2] Das Ködnitzkees ist ein Gletscher am Großglockner. nach oben und bemühten uns, in den Fußspuren des Vorgängers zu gehen, da man sonst auch schon mal bis zum Knie einsacken konnte. Für das Genießen der Aussicht ließ uns Toni nur widerwillig etwas Zeit, da sich zu dem stärker werdenden Regen auch noch ein näher kommendes Donnergrollen gesellte.[3][3] Und das, obwohl Peter immer wieder gebetsmühlenartig auf die gleich erscheinende Sonne hinwies.

Von der Erzherzog-Johann-Hütte hat man einen schönen Rundumblick.
Von der Erzherzog-Johann-Hütte hat man einen schönen Rundumblick.

Das Gewitter verpieselte sich glücklicherweise wieder im Laufe des Aufstiegs, sodass wir unbesorgt den Blitzableiter entlang einen Felsgrat hinauf klettern konnten, was mit vollem Gepäck in die Beine ging. Als wir dann die Hütte erreichten, hatten wir auch das Gefühl, für heute genug getan zu haben.[4][4] Immerhin hatte die App von Peter am heutigen Tag 1200 Schritte gezählt! Ich persönlich fand diesen Teil physisch am anstrengendsten. Da wir diese Passage gut gemeistert hatten, sah Toni dem Gipfelsturm am kommenden Tag positiv entgegen. Die Frage blieb nur, was das Wetter wohl machen würde.

Die Erzherzog-Johann-Hütte besitzt keinen Wasserzugang, wodurch Duschen und Waschen ausfällt. Selbst die Toilette besitzt nicht einmal ein Waschbecken. Sauberkeit wird aber sowieso überbewertet, und mit dem Problem ist man auf so einer Hütte in guter Gesellschaft, sodass niemand allzu kritisch war. Dafür trockneten die regennassen und durchgeschwitzten Kleidungsstücke in Ruhe am Ofen.

Lag es an der dünnen Luft, der bevorstehenden Aufregung oder der schon bewältigten Anstrengung? Auf jeden Fall schliefen wir alle nicht besonders gut, obwohl wir ein Dreierzimmer ergattert hatten.

28. Juli (Donnerstag)

Um 5.00 Uhr klingelte der Wecker, und nach einem kurzen Frühstück machten wir uns - wie auch alle anderen Übernachtungsgäste - auf den Weg nach oben. Auf dem Weg nach oben hielten die Wolken noch gebührenden Abstand.
Auf dem Weg nach oben hielten die Wolken noch gebührenden Abstand.
Immerhin war das Wetter erstaunlich klar und der Gipfel wolkenfrei. Was will man mehr?

Die Rucksäcke ließen wir an der Hütte zurück, sodass ich außer meiner Kamera[5][5] Es gibt Dinge, auf die kann man einfach nicht verzichten., Klettergurt, Steigeisen und Helm nichts zu tragen hatte. Das befreite doch deutlich. Wir starteten als eine der ersten Gruppen, sodass wir nicht in den Stau gerieten. Die Beine waren erstaunlich fit, und die 350 Höhenmeter zum Gipfelkreuz gingen mir fast beängstigend gut von der Hand.

Zunächst stiefelten wir in Serpentinen die steile Eisflanke Glocknerleitl empor, bis wir auf dem felsigen Grat erneut klettern mussten. Nach der Überquerung des Kleinglockners und einem kurzen Abstieg in die Glocknerscharte wurde es richtig spannend. Während Martin, Peter und Toni (v.l.) das Schneefeld hinauf stapften, machte ich Fotos und nahm die Rolltreppe am Rand.
Während Martin, Peter und Toni (v.l.) das Schneefeld hinauf stapften, machte ich Fotos und nahm die Rolltreppe am Rand.
Natürlich ist es einfach, auf einem zwei Fuß breiten Holzbalken zu balancieren. Das kann jedes Kind. Ein bisschen anders sieht es aus, wenn der Balken aus Schnee besteht und man sowohl rechts als auch links durch einen ungeschickten Fehltritt einen halben Kilometer in die Tiefe purzeln kann. Nicht das Gehen an sich war also besonders schwierig[6][6] Da habe ich in Kletterhallen schon deutlich mehr geleistet., sondern sie sogenannte Ausgesetztheit, also die Abhänge neben und unter einem, die die Psyche manchmal stark beeinflussen können.

Nach 70 Minuten erreichten wir den Gipfel, genossen die Aussicht, die okay war, und natürlich den Triumph. Wir hatten damit ca. 1900 Höhenmeter Aufstieg hinter uns. Rein physikalisch ergibt sich dadurch ein Kalorienverbrauch von rund 270 kcal.[7][7] Für Nerds und meine Schüler sollte die Berechnung kein Problem darstellen.

Wie bitte, was? Ich habe mich fast 2000 Meter nach oben gequält und nicht mal genug Energie für eine Tafel Schokolade verbrannt? Glücklicherweise arbeitet der Körper nicht so wahnsinnig effizient und er erhält auch keine Energie zurück, wenn man den Berg wieder hinunter geht, sodass die physikalische Formel der potentiellen Energie nur bedingt anwendbar ist. Vom Kleinglockner muss man noch etwas hinabsteigen, bevor es dann erneut nach oben geht.
Vom Kleinglockner muss man noch etwas hinabsteigen, bevor es dann erneut nach oben geht.
Eine sinnvolle Berechnung habe ich aber leider nicht gefunden, da die meisten Informationsquellen die Kalorien aus der gewanderten Zeit und nicht aus dem Höhengewinn ableiten.

Auf jeden Fall hat es viel Spaß gemacht, und ich habe erfreulicherweise festgestellt, dass ich weder physisch noch psychisch am Limit war. Die nächste Herausforderung kann also irgendwann kommen. Der Abstieg ging dann noch mal in die Knie. Bereits um 10.30 Uhr, also noch mitten am Vormittag, erreichen wir 1000 m tiefer wieder die Stüdlhütte, auf der wir 24 Stunden vorher auf Toni gewartet hatten. Jetzt hätten wir eigentlich gleich wieder von hier nach oben für die zweite Runde starten können, was aber keiner von uns wollte. Wozu auch? Mit "Ich habe den Großglockner bestiegen." kann man angeben, aber "Ich habe den Großglockner zweimal bestiegen." bringt auch nicht mehr Hochachtung ein.

Außerdem zog uns etwas nach unten zum Lucknerhaus zurück. Trotz allem haben wir es alle drei nach ganz oben auf den Großglockner geschafft. Im Hintergrund lässt sich gut erahnen, dass schon bald nach unserem Besuch der Gipfel wieder in Wolken gehällt war. Wir waren froh, dass wir so früh am Tag unterwegs waren.
Trotz allem haben wir es alle drei nach ganz oben auf den Großglockner geschafft. Im Hintergrund lässt sich gut erahnen, dass schon bald nach unserem Besuch der Gipfel wieder in Wolken gehällt war. Wir waren froh, dass wir so früh am Tag unterwegs waren.
Dort wartete nämlich eine Sauna auf uns, die wir ausführlich zur Erholung nutzten. Leider fehlten die alabastahäutigen Schönheiten, die uns die Beine massierten. Trotzdem haben wir die Tour alle gut überstanden. Dass sich dann bei einem Abstieg von 1900 Höhenmeter in sieben Stunden meine Knie ein wenig beschwerten, war vollkommen in Ordnung. Bei den anderen waren es vor allem die Oberschenkel, die sich bemerkbar machten. Martins Adduktoren überstanden den Trip überraschend gut.

Epilog

Den Knien ging es am nächsten Morgen wieder prächtig, und die Oberschenkel murrten nur wenig, also nutzten wir den Freitag zum gemütlichen Ausspannen und Erholen. Dazu besuchten wir die Krimmler Wasserfälle, die höchsten Wasserfälle Österreichs, und flanierten an ihnen entlang 500 Meter nach oben bis zur Hölzlahner Alm und zurück. Es kann also alles nicht so schlimm gewesen sein.